„Die Krönung des kirchlichen Lobbyismus“
Vor einer Woche wurde der Gesetzentwurf zur seit über 100 Jahren fälligen Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen von einem Zusammenschluss aus den Oppositionsparteien FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke in der Bundespressekonferenz vorgestellt (https://hpd.de/artikel/gesetzentwurf-zur-abloesung-staatsleistungen-17834) . Zeit, ihn etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Dafür sprach der hpd mit dem Politologen und Kirchenfinanzexperten Carsten Frerk, der sich zuletzt im Rahmen seines Buches „Kirchenrepublik Deutschland“ mit dem Thema Staatsleistungen und kirchlichem Lobbyismus befasst hat.
hpd: Herr Frerk, was dachten Sie, als Sie von dem Gesetzentwurf gehört haben und wie ging es Ihnen, als Sie den Entwurf gelesen haben?
Frerk: Als ich davon hörte, habe ich mich gefreut, dass die Dinge endlich in Bewegung kommen und offensichtlich die Aufklärungsarbeit im Jahre 2019 mit der beachtlichen Buskampagne „Kirchenstaat? Nein Danke. 100 Jahre Verfassungsbruch sind genug“ bei verständigen Politikern und Kirchenvertretern ihre Früchte trägt. Als ich den Gesetzentwurf las, wusste ich allerdings nicht, ob ich weinen oder lachen sollte.
hpd: Und wozu haben Sie sich schließlich entschieden?
Frerk: Für das Lachen. Ich konnte ja aufgrund meiner Recherchen recht detailliert nachweisen, wie innig die Kirchen bisweilen in den politischen Gesetzgebungsprozess eingebunden sind. Und das vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur „Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Selbsttötung“ schien der Gipfel und möglicherweise den Endpunkt des Erfolgs eines kirchlichen Lobbyismus darzustellen, nachdem es vom Bundesverfassungsgericht als „nichtig“ beurteilt und aufgehoben wurde. Aber nein – der jetzige Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen ist meines Erachtens eine Gemeinschaftsarbeit des kirchlichen Lobbyismus – unter Federführung des katholischen Büros – und das brachte mich zum Lachen. Denn es ist die Krönung des kirchlichen Lobbyismus, zwar die Zeichen der Zeit erkannt zu haben, dass diese Zahlungen nicht mehr als legitim vermittelbar sind, aber die Klärung der Situation auf 25 Jahre zu verschieben und das Ganze mit einer üppigen Abschlusszahlung zu krönen.
hpd: Sie sprechen die im Gesetzentwurf vorgesehene Fristenregelung an: Innerhalb von fünf Jahren sollen die Bundesländer jeweilige Ablösegesetze verabschieden, der gesamte Auszahlungsprozess soll dann nach weiteren spätestens 20 Jahren beendet sein. Während dieser Phase sollen die Staatsleistungen zusätzlich zur Ablösesumme jährlich weitergezahlt werden. Warum? Und was hat es mit der Bezeichnung der Staatsleistungen als "Pachtersatzzahlungen im weitesten Sinne" auf sich?
Frerk: Es wird von der Entschädigung von „Enteignungen“ gesprochen. Das ist die Behauptung der katholischen Kirche, dass die Staatsleistungen die „Pachtersatzleistungen“ für Enteignungen seien. Die Grundflächen dieser behaupteten Enteignungen wurden bisher niemals tatsächlich benannt. Wenn es sich um Enteignungen von Kirchenbesitz handeln würde, könnte es sich nur um die „Mensalgüter“ handeln, das heißt dem persönlichen Dispositionsbesitz der Bischöfe, aus deren Erträgen sie die Finanzierung und Ernährung ihres Hofstaates realisierten. Dafür sind jedoch im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 keinerlei Regelungen enthalten, es wurde nur der staatliche Erhalt der hohen Domkirchen vereinbart. Zudem blieb der Grundbesitz der Kirchengemeinden unangetastet. Wenn man nun einen aktuellen mittleren Pachtertrag (https://www.agrarheute.com/tag/pachtpreise) von 328 Euro je Hektar durch die rund 570 Millionen Staatsleistungen des Jahres 2020 dividiert, kommt man für die kirchlichen bischöflichen Mensalgüter auf eine Größenordnung von rund 1,7 Millionen Hektar, das entspricht 17.000 Quadratkilometern. Das ist sehr weit jenseits aller Realitäten. Die Fläche der behaupteten Enteignungen und deren Wert sind schlicht unbekannt.
hpd: Die Zahlungen zur Ablösung der Staatsleistungen sollen sich am "Äquivalenzprinzip" orientieren. Ausgehend von diesem Äquivalenzprinzip sollen die Ablöseleistungen maximal
das 18,6-fache der jährlichen Zahlungen in der Höhe des Jahres 2020 betragen. Was hat es mit dieser Zahl 18,6 auf sich und warum soll das Äquivalenzprinzip hier angewendet werden?
Frerk: Im Gesetzentwurf heißt es: „Das Äquivalenzprinzip verspricht einen angemessenen, weil vollständigen Ausgleich“. Davon kann bei Ablösungen bisher nicht die Rede sein, dass es einen „vollständigen Ausgleich“ schafft, denn das wäre keine Ablösung, sondern die Schaffung eines Kapitalstocks, aus dem die Kirchen diese bisherigen staatlichen Zahlungen weiterhin erhalten, eine Art „Ewigkeitsrente“. Das gelingt den Kirchen dadurch, dass nach dem Bewertungsgesetz (https://www.gesetze-im-internet.de/bewg/__15.html) eine Ablösesumme das 18,6-Fache des Jahreswertes von 2020 betragen soll. Das sind rund 10,6 Milliarden Euro. Und dann soll es so gehen, dass bis zu dem Zeitpunkt, wenn dieser Kapitalstock von 10,6 Milliarden „fällig“ wird, die bisherigen Staatsleistungen kontinuierlich weitergezahlt werden, das heißt, maximal bis zum Jahr 2045 ein Betrag von schätzungsweise 14 Milliarden Euro. Als „Finanzpflaster“ für die Beendigung der Staatsleistungen sollen die Kirchen also eine etwa doppelt so hohe Zahlung bekommen. Mit dem Bezug auf das Bewertungsgesetz können sich die Kirchen dem jetzt nicht mehr verweigern, was sie gegen den Vorschlag eines 10-fachen Satzes im Jahr 2013 (https://www.linksfraktion.de/parlament/reden/detail/verfassung-achten-laenderhaushalte-entlasten-staatsleistungen-endlich-abloesen/) noch getan hatten, da dieser 18,6-fache Jahreswert „rechtssicher“ ist, auch wenn er auf einer Legende beruht. Rechtssicher ist dieses "Nutzungsentgelt des Jahreswertes" deshalb, weil es im schon erwähnten Bewertungsgesetz steht. So denken Juristen. Der Bezug auf 2020 ist übrigens nicht verfassungskonform, da sich der Ablöseauftrag und das finanzielle Volumen der Ablösung auf den Tag des Inkrafttretens der Weimarer Verfassung bezieht, den 14. August 1919.
hpd: Bisher gezahlte Staatsleistungen sollen nicht angerechnet werden, weil sie nur Kompensationszahlungen für entgangene Gewinne aus ehemals kirchlichem Eigentum seien, nicht
aber Entschädigung für die eigentlichen Enteignungen. Was sagen Sie dazu?
Frerk: Es gibt eine Rechtsauffassung, dass mit der Übernahme der Ablösebestimmungen aus der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz ohne den Artikel 173 Weimarer Reichsverfassung, der ein Grundsätzegesetz zur Ablösung fordert, die Ablösezahlungen mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes begonnen hat. Und wenn man dabei sogar die Forderung der Kirchen nach einem 24-fachen Jahressatz zugrunde legt, war diese Ablösesumme im Jahr 1963 erreicht und vollendet. Alle weiteren Zahlungen sind seitdem illegal (rund 18 Milliarden) und müssten an die Bundesländer zurückerstattet werden. Auf der Basis des Diskontsatzes der Bundesbank (kurz Basiszins) plus Verzinsung wäre das eine Summe von mindestens 40 Milliarden Euro. Davor möchten die Kirchen verständlicherweise geschützt werden.
hpd: wie kam es denn überhaupt zur jetzigen Situation der immer weiter bezahlten Staatsleistungen an die Kirchen?
Frerk: In drei Stufen: Anfangs hieß es in der Weimarer Verfassung in Artikel 138,1 präzise „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Im Reichsinnenministerium wurde 1920 eine auf zwei Jahre dotierte Referentenstelle geschaffen, um dieses Grundsätzegesetz auf den Weg zu bringen. Der erste Schritt des kirchlichen Lobbyismus war es, ein derartiges Gesetz zu verhindern. Der zweite Schritt war das Bayern-Konkordat von 1924, in dem im Artikel 10
(https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayKonk-1-33) diese Staatsleistungen auf die Bischofs- und Priesterbesoldung fokussiert wurden, was nach der Reichsverfassung (Artikel 137,1: „Es gibt keine Staatskirche“) nicht erlaubt war und die Ewigkeit dieser Zahlungen vereinbart, was ebenfalls rechtswidrig war, da noch kein Grundsätzegesetz vorlag. Der dritte Schritt war dann die vermeintliche „Pauschalisierung“ dieser Zahlungen, womit die katholische Kirche behaupten konnte, es seien Pachtersatzleistungen. Und dieses lobbyistische Konstrukt hat der Gesetzentwurf, der jetzt in den Bundestag eingebracht werden soll, zur Grundlage für Entschädigungszahlungen gemacht.
hpd: Wenn Sie einen eigenen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen könnten, wie sähe der aus?
Frerk: Es wäre der Gesetzentwurf, den Johann-Albrecht Haupt für die Humanistische Union bereits 2011 publiziert hat.
Darin heißt es: " 1. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Ansprüche gegen die Länder auf Staatsleistungen gelten als durch Zahlung seit 1919 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes abgelöst. 2. Entgegenstehende Vereinbarungen zwischen den Ländern und den Kirchen, durch welche Staatsleistungen begründet, erneuert, bestätigt oder näher bestimmt werden, sind aufzuheben."
Insofern einzelne Landeskirchen beziehungsweise Bistümer, vor allem in den Neuen Ländern, dadurch in finanzielle Schwierigkeiten kommen würden, müssten die Kirchen analog dem Finanzausgleich der Bundesländer einen entsprechenden Finanzausgleich zwischen den Landeskirchen oder Bistümern realisieren. Es kann nicht die Aufgabe des Staates sein, Finanzprobleme von Landeskirchen mit Zahlungen aus Steuergeldern zu lösen.
hpd: Herr Frerk, vielen Dank für das Gespräch.